Psalm 103 gehört in die Reihe der bekanntesten Psalmen. Sein Text ist ein einziger Jubelruf. Fast liest es sich, als sei der Autor des Psalms verliebt. Und da im Zustand dieses Glücksgefühls ohnehin die ganze Welt wie eingezuckert erscheint, hat der Blick auf Gott entsprechend Zucker abbekommen. Allzu großes Glück macht am Ende doch misstrauisch.
Wie oft wird Gott im Gebet eine endlose Liste von Wünschen vorgetragen, die sich erfüllen sollen, oder einzelne Situationen oder gleich das ganze Leben. Dass sich dann nur selten etwas ändert, scheint normal, aber durch das Gebet wird der Therapeut eingespart und der ganze Druck der Lasten, die bedrücken, ist vom Herzen geredet. Das Hirn ist wieder frei.
Gott danken ist ein aufwändigerer Prozess. Er kostet immer Überwindung. Da wäre ein kleiner Trick im Angebot: Einfach Gott für etwas Danken, was man gar nicht bei Gott bestellt hat. Kleine Momente des Glücks, die einem das Gefühl vermitteln, so kann es bleiben, sind der ideale Ausgangspunkt für Dankbarkeit. Und sie öffnen die Wahrnehmung für eine Lebensgestaltung, die im eigenen Plan nicht vorkommt.
Der erste Satz des Psalms 103, der Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist, liefert in der verwendeten Lutherübersetzung einen interessanten Hinweis: Der Autor spricht seine Seele in der dritten Person an, um ihr zu sagen „Lobe den Herrn meine Seele…“, was bedeutet: „Wach auf Seele, jetzt ist der richtige Moment für einen ganzen Berg Dank an Gott, weil du glücklich bist. Nutze die Gelegenheit, deine Freude zu teilen. Trau dich!“
Vergraben in Problemen, braucht es manchmal ein Wachrütteln, um Glück wieder fühlen zu können. Es ist kein verzweifeltes Klammern an Gott aus Angst und auf der Suche nach Hilfe, sondern ein tiefes befreiendes Durchatmen. Freude darf ohne Bedenken zugelassen werden.
Das Glück, endlich einmal Glück zu haben, enthält andererseits die Gefahr des Rausches, in dem das Gefühl zur immer stärkeren Droge wird, allein um des Gefühls willen.
Dieses Verhalten ist dort zu beobachten, wo Gott als Betäubungsmittel verwendet wird. Wo jede kleinste, Gott zugeschriebene, Regung ein Beweis unendlicher Güte und Liebe ist. Immer ein Halleluja wert, ein Lobpreis als Blende vor der Realität. Beinahe wäre es dem Autor dieses Psalms zu unterstellen.
…und was in mir ist seinen heiligen Namen!
Doch lässt sich im zweiten Teil des Satzes eine Steigerung erkennen, die zugleich der Schlüssel zu der Auflösung dieser Bedenken ist, „und was in mir ist seinen heiligen Namen!“. Hier wird der Lobpreis Gottes zum Gebet. Ein Gebet mit jeder Faser des eigenen Körpers. Das eigene Innere kennt den Namen desjenigen, an den der Dank geht. Nichts verhallt ohne Bedeutung. Der Dank reflektiert im eigenen Ich die Freude an den Auslöser, also Gott, zurück.
Am Anfang der Ausführungen stand der Verdacht im Raum, der Text des Psalms würde in seinem Überschwang fast schon auf ein Verliebtsein des Autors hinweisen. Mit der Verbindung zu Gott in Zeiten, die persönlich als positiv wahrgenommen werden, können so möglicherweise Erfahrungen gemacht werden, die in Zweifeln und Krisen den Bruch mit Gott vermeiden. Bewusste Erinnerung wird zum tragenden Element der Beziehung.
© 2020 Matthias Möller
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