Getsemani | Teil der Schöpfung

Das Leben aufs Kreuz gelegt (4)

Der Garten Getsemani ist kein sakraler Raum, keine Kultstätte, keine Synagoge, kein Tempel. Man kann annehmen, der Garten gehörte in alter Zeit zu einem Hof, auf dem die Früchte der Bäume zur Gewinnung von Olivenöl verarbeitet wurden. Diesen alltäglichen Ort macht der Nazarener zu seinem heiligen Platz. Auch weil er in seiner Situation keinen Andachtsraum aufsuchen kann.

Geistliche Begleitung braucht kein fromm überhöhtes Heiligtum. Sie gehört in die realen Lebensumstände. Wer einen Garten nutzen kann, nutze einen Garten für Gespräche. Zwischen Obstbäumen, Blumen- und Gemüsebeeten, in öffentlichen Parks oder Weinbergen kann es ebenso Rückzugsorte geben. Ich bin dafür, Natur in die Begleitung einzubeziehen, da ihre Atmosphäre Gespräche, aber auch gemeinsames Schweigen, positiv umrahmen kann. Wichtig ist, sich selbst als Teil der Schöpfung wahrzunehmen und mit diesem Grundvertrauen eine unverkrampfte Sicht auf die Welt zu bekommen. Dadurch habe ich gelernt: ich bin mit meiner Behinderung keine Sondernummer innerhalb der Schöpfung. Vor mir hat es unzählige Menschen und Tiere mit einer Behinderungen gegeben und sie mussten ihr Leben, so gut wie möglich, meistern. Ich bin gegenwärtig nicht der einzige Zeitgenosse mit Einschränkungen. Und nach mir wird es weiterhin behinderte Geschöpfe geben.

Selbstverständlich vertrete ich damit nicht eine Naturphilosophie. Wenn der Nazarener einen Garten nutzt, warum nicht auch seine nachgeborenen Schüler? Mir ist auch bewusst, Menschen die wochenlang, gar monatelang ihr Krankenbett nicht verlassen können, ist dieser Tapetenwechsel in die Natur nicht möglich. Auch mir war es einst Monate nicht möglich.

© 2020 Matthias Möller

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