Zweiter Sonntag im Jahreskreis
Zu Johannes 1, 29–34 (Lesejahr A)
Die Stimme des Täufers: Jochanan bekennt sich. Wieder lenkt das Sonntagsevangelium den Blick auf das Familiäre. Wieder spricht ein Cousin über den anderen Cousin, Jochanan spricht über Jeschua. Der Täufer verbindet seinen Erfahrungsbericht mit einem Bekenntnis, bezeichnet seinen Cousin als »Lamm Gottes«, das die Sünde der Welt hinwegnimmt. Genauer: die Sünde der Welt mit sich davonträgt. Weil dieses Bild für viele Menschen eine Zumutung (ein geschlachtetes Opfertier) wachruft, wird eine theologische und menschennahe Interpretation verdeckt: wer glaubt ist nicht allein!
Hier erweitert sich die Familie von der leiblichen Familie Jeschuas auf alle Glaubenden. Alles was wir als Sünde interpretieren, als eigene Unzulänglichkeit wahrnehmen, muss nicht allein getragen werden. Der Nazarener, als Herr und Bruder, ist immer als Vorbild mittendrin und weicht, theologisch gelesen, nicht von der Seite der Glaubenden. Keineswegs als Wächter, nicht als drohende Kontrolle, vielmehr als Bezugsperson und Orientierung. So geraten Glaubende in eine Verantwortung vor Gott, dem Nazarener und ihrem eigenen Gewissen. Auf diese Weise, kann die Illusion einer alles vergebenden Gleichgültigkeit ansatzweise unterbunden werden. Den überheblichen Blick des Menschen auf die vermeintlichen Sünden eines anderen Menschen darf es somit nicht geben. Da er schlicht überflüssig ist im Programm des Nazareners.
Und hinter allem steht ein zweites Versprechen: die Glaubenden befinden sich nicht allein vor Gott. Der Nazarener darf als Anwalt seiner Geschwister verstanden werden. Auch die Geschwister untereinander können vor Gott füreinander sprechen. Und immer mit der Kraft ihres Herrn und Bruders im Rücken.
© 2023 Matthias Möller