Der Weiße oder der Graue?

Jesus wird in den Evangelien nicht so friedfertig geschildert, wie Christen gerne hätten. Drei Episoden aus dem neuen Testament, stören das Bild vom sanftmütigen Nazarener: die Verfluchung des Feigenbaums, die Tempelreinigung und die Segnung der Kinder. Warum fällt Jesus hier aus der Rolle?

Für die Verfluchung des Feigenbaums¹ dürften ziemlich menschliche Gründe verantwortlich sein. Ärgerte sich Jesus, weil er seinen Hunger nicht stillen konnte? Das Markusevangelium erzählt, sei keine Erntezeit für Feigen gewesen. Hat Jesus, von seinem leeren Magen gesteuert, überreagiert? Die Autoren der Evangelien hatten nicht vor, Jesus als vollkommene Lichtgestalt darzustellen. Doch die Grautöne auf der »weißen Weste« Jesu verkraften einige Gläubige nur schwer. Konsequent sanftmütig und das nervtötend radikal, so haben Christen und Theologen den Nazarener am liebsten.

Dass der Feigenbaum nach dem Fluch verdorrte, möchte Jesus nicht als Folge seines Ärgers sehen. Er will seinen Schülern vermitteln, was durch Glaube möglich ist. Er sagt, wenn sie nicht zweifeln, könnten auch sie ähnliche Wunder bewirken. Die Aussage ist einfach: Wer kann, der tut.

Nichts als heiliger Zorn

Im Fall der sogenannten Tempelreinigung² ist die Aggression Jesu nachvollziehbar. Er versetzt damit das Haus Gottes vom Finanz- und Handelsplatz der Händler und Geldwechsler wieder in das »Haus des Gebets«. Für ihn ist das Heilige im Haus seines Vaters durch den dort blühenden Kapitalismus nachhaltig gestört worden. Mit der überfallartigen Vertreibung der Geschäftsleute wird der Tempel, was er sein soll: ein Gottesdienstort.

Wer die die Bergpredigt kennt und die Seligpreisungen gelesen hat, den kann das Verhalten des Nazareners dennoch befremden. Sagt er nicht eindeutig, selig seien die Frieden schaffen, denn sie würden Gottes Kinder heißen?

Jesus ist Realist genug, um zu wissen, allein mit guten Worten lässt sich nicht jedes Problem lösen. Für ihn ist das Marktreiben ein unerträglicher Eingriff in die Heiligkeit des Tempels. Das zwingt ihn zu diesem ungewöhnlichen Schritt. Denn indem sein Protest zornig ausfällt, hofft er auf dessen nachhaltige Wirkung. Heiliger Zorn, um das Heilige zu bewahren, bleibt andererseits in Spannung mit dem Aufruf zum Gewaltverzicht der Bergpredigt.

Der Anwalt der Kinder

Im dritten Fall wurden Kinder zu Jesus gebracht. Die sie brachten, wünschten, dass der Nazarener die Kinder segnet. Doch Jesu Schüler wollten die Kinder nicht vorlassen. Da platzte ihrem Lehrer der Kragen. »Lasst die Kinder, verweigert ihnen nicht, zu mir zu kommen, denn solchen gehört das Reich Gottes« Diese Worte waren keine freundliche Bitte. Sie waren ein brüskierender Befehl. Eine unmissverständliche Anweisung an seine Schüler. Und Jesus setzte nach: »Gebt acht, was ich euch sage: Wer das Reich Gottes nicht annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineingelangen«. Dann nahm Jesus die Kinder in die Arme. Er legte ihnen die Hände auf und segnete sie.³

Der »weiße Jesus« nur ein Klischee?

Manchmal denke ich, mit Jesus aus Nazareth verhält es sich ähnlich wie mit dem Zauberer Gandalf aus Tolkiens »Der Herr der Ringe«. »Gandalf der Graue« stürzt in den Minen von Moria in einen Abgrund, als er mit einem Dämonen kämpft. Gandalf besiegt ihn, verliert allerdings das Leben. Nach seinem Tod kehrt er als »Gandalf der Weiße« zurück, um seinen Kampf gegen Sauron fortsetzen zu können.

Die Analogie zum Opfertod Jesu und seiner anschließenden Auferstehung ist verblüffend. Auch wenn der Vergleich gewagt ist, verdeutlicht die Parallele: Bis zu seinem Tod hat Jesus, der Mensch, alle Grautöne des menschlichen Charakters. Erst mit seiner Auferstehung kehrt er als »Jesus der Weiße« zurück.

© 2015 Matthias Möller

1 Verfluchung des Feigenbaums. Das Evangelium nach Markus 11,12-25; Das Evangelium nach Matthäus 21,18-22
2 Die Tempelreinigung. Das Evangelium nach Matthäus 21,12ff; Das Evangelium nach Markus 11,15ff; Das Evangelium nach Lukas 19,45ff; Das Evangelium nach Johannes 2,13–16
3 Die Segnung der Kinder. Das Evangelium nach Matthäus 19, 13–15; Das Evangelium nach Markus 10, 13–16; Das Evangelium nach Lukas 18, 15–17

Photo by Daniel Watson

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